Ganz einfach: Telltale Games hat (auch dank der Comic-/TV-Serienvorlage) auf verblüffende Art gezeigt, dass ein hochklassiges Spiel nicht viel braucht, um augenblicklich und durchgehend zu fesseln. Das Zauberwort lautet: Storytelling ! In seiner erwachsensten Form, intensiv und stimmig inszeniert. TWD wird nicht als eines der herausfordensten Adventures in die Spielegeschichte eingehen, selbst Adventure-Neulinge geraten hier kaum ins Schwitzen. Aber es wird wegen seiner Handlung voller Schocks, Dramatik und Tragik lange in Erinnerung bleiben, womöglich als das wohl wichigste Spiel dieses noch so jungen Jahrzehnts. Und damit übertreibe ich nicht.
Direkt zu Beginn begleiten wir den Universitäts-Lehrer und verurteilten Mörder Lee Everett, der per Streifenwagen ins Gefängnis überstellt werden soll. Soweit kommt es gar nicht, da das Fahrzeug von der Straße abkommt. Durch einen Toten. Einen lebenden Toten. Überall verbreiten sich Zombies wie eine unkontrollierbare Seuche. Dörfer, Städte, ganze Metropolen... Es gibt keinen Fleck in den USA, wo sie nicht wüten und über die wenigen Überlebenden, nicht Infizierten herzufallen versuchen. Lee gelingt es, sich aus dem Polizeiwagen zu befreien und zu flüchten. Unterwegs begegnet er der kleinen Clementine, die sich daheim vor den wandelnden Toten versteckt hält. Ihre Eltern sind fort; unsicher, ob diese noch leben oder nicht. Er nimmt sich ihrer an und versucht mit ihr, sich mit anderen Überlebenden zusammen zu tun. Als Gemeinschaft heisst es gegen die tödliche Bedrohung zu bestehen. Mit jedem weiteren Tag des Überlebenskampfes wird jedoch allen klar, dass Gefahr nicht ausschließlich von den Toten ausgehen muss...
Das Storygerüst von TWD, bestehend aus insgesamt fünf aufeinander bauende Episoden, steht von Anfang bis Ende fest. Man kann die Geschichte selbst nicht verändern oder sich zu alternativen Enden hinarbeiten. Als Spieler können wir aber durch unsere Entscheidungen und zeitkritischen Aktionen die Entwicklung der Geschehnisse in gewisse Richtungen lenken, manche Momente anders ablaufen lassen. In erster Linie formen wir Lee Everett nach unseren Vorstellungen. Wir geben ihm ein Profil, einen eigenen Charakter, ein Gewissen.
Als Lee steht man immer in undankbarsten Situationen, Entscheidungen zu treffen, die Einfluß auf das Überleben oder Sterben anderer Mitmenschen oder auf Integrität oder Misstrauen zu seinem Gegenüber haben. Welche Wahl auch getroffen wird, es folgen Konsequenzen, mit guten wie auch schlechten Ausgängen. Dies führt Szenen herbei, die unglaublich unter die Haut gehen und derart emotional berühren, wie man es in keinem anderen Spiel zuvor erlebt hat. Ständig liegen Konflikte in der Luft, immerzu hat man Angst, einen liebgewonnenen Begleiter ungewollt in den Tod zu schicken oder durch ein falsches Wort Sympathiewerte wichtiger Personen zu verlieren.
Wie gesagt, die Rahmenhandlung ist fest vorgeschrieben, ein hoher Wiederspielwert von TWD damit eigentlich nicht gegeben. Und doch kann man der Versuchung nicht widerstehen, es nach seinem ersten Ritt durch die apokalyptische Hölle aus Blut und Tränen ein zweites Mal zu versuchen, da es doch neugierig macht, was wohl passiert wäre, wenn ich mich in Sitution XY für Lösung B statt A oder C entschieden hätte.
Das Gameplay an sich ist extrem einfach gehalten. Nie werden sehr viele Gegenstände auf einmal aufgelesen, die Kombinierbarkeit untereinander oder mit Hintergrundobjekten bleibt stets mehr als eindeutig. Klassische Rätsel kommen meist schlicht und ohne großen Umfang vor, dafür macht TWD am meisten Gebrauch von Multiple-Choice-Dialogen, teilweise unter Zeitdruck. Klingt nicht sehr anspruchsvoll, hat aber den Vorteil, dass der Spielfluss so sehr flüssig und spannend gehalten wird.
Telltale greift wie schon in all seinen vorherigen Spiele auf die hauseigene Grafikengine, mit der schon die "Sam & Max"-Seasons, "Tales of Monkey Island" oder "Back to the Future" zum Leben erweckt wurden. Diese ist nicht sonderlich spektakulär und geizt sogar mit modernen Effekten. Selbst die Texturqualität ist allerhöchstens durchschnittlich, und bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass auch hier und da an Polygonen kräftig gespart wurde.
Dennoch passt dieser Grafikstil mit blassen Farben und harten Konturen perfekt zur gleichnamigen Comicvorlage, wird dem Vorbild einer Graphic Novel gar mehr als gerecht. Vor allem aber ist es die wunderbare Mimikgestaltung von Lee, Clementine und Co., die alle Kritikpunkte an der Optik wieder vergessen machen. Und wenn man noch die Sprachausgabe im O-Ton, die traurig bis pessimistisch stimmende Musik und den sparsamen Einsatz an Soundeffekten dazu nimmt, kommen einem Gedanken über die verhältnismäßig "schwache" Präsentation gar nicht mehr in den Sinn. TWD ist eine mit allem Wassern gewaschene Stimmungs-Granate, mit dem es kein anderes Spiel seines Genres in puncto Atmosphäre aufnehmen kann. Jedenfalls könnte ich keines ad hoc nennen, und ich habe schon massig Adventures verschlissen.
Fazit:
Schlicht in der Technik, großartig beim Inhalt. 12 Stunden Horror-Drama vom Feinsten; ein Gefühlskarussel, das man von Videospielen wie diesem hier nicht erwarten würde.
TWD macht vor, wie "interaktive Filme" aussehen müssen.